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Gericht tendiert zu vollständiger Wiederholung von Berliner Wahlen
Der Berliner Verfassungsgerichtshof tendiert zu einer vollständigen Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl vom September. Nur so könne "ein verfassungsgemäßes Ergebnis" hergestellt werden, sagte Gerichtspräsidentin Ludgera Selting am Mittwoch bei der Verhandlung über die Einsprüche gegen das Wahlergebnis. Es habe "eine Vielzahl von Wahlfehlern" gegeben, die auch mandatsrelevant gewesen seien. Das scheint könnte die Wahl vor diesem Hintergrund für ungültig erklären.
Das Gericht sehe die Mandatsrelevanz für die Zweitstimme in allen 78 Wahlkreisen, sagte Selting in der von ihr vorgetragenen ersten rechtlichen Einschätzung. Die Wahlfehler hatten demnach Einfluss auf die Sitzverteilung im Parlament. Bei den bekannten Wahlfehlern handle es sich zudem "nur um die Spitze des Eisbergs".
Laut Selting sollten nach derzeitigem Stand auch die Wahlen zu den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen vollständig wiederholt werden. Die Volksvertretungen auf Bezirksebene wurden am 26. September 2021 zusammen mit dem Abgeordnetenhaus und dem Bundestag neu gewählt.
Die Richterin kritisierte die Landeswahlleitung. Diese sei "ihrer Kontroll- und Koordinierungspflicht nicht ausreichend nachgekommen". So sei unter anderem die geringe Zahl an Wahlkabinen und Stimmzetteln eine direkte Folge "dieser unzureichenden Vorbereitung gewesen".
Vor dem Verfassungsgerichtshof der Hauptstadt begann rund ein Jahr nach den Wahlen am Mittwoch die Verhandlung über die Einsprüche gegen das Wahlergebnis. Vor der rechtlichen Einschätzung hatte Selting den Ablauf des Verfahrens erläutert sowie drei Beschlüsse verkündet - unter anderem wurde ein Befangenheitsantrag gegen das Gericht abgelehnt. Anschließend führe Berichterstatterin Sabrina Schönrock in den Stand des Verfahrens ein.
Für den weiteren Verlauf der Verhandlung war die Anhörung der ersten Beteiligten geplant. Die neun Richterinnen und Richter wollten sich am Mittwoch zunächst nur mit vier von 35 eingereichten Einwänden befassen - jenen von der Landeswahlleitung, der Senatsinnenverwaltung sowie von AfD und Die Partei. Diese Verfahren seien geeignet, "alle relevanten Fragen im Zusammenhang mit dem Wahlgeschehen abzudecken", hieß es vom Gericht im Vorfeld.
Wegen der vielen Beteiligten – dazu gehören neben den Antragstellern unter anderem die Landeswahlleitung, Abgeordnete sowie betroffene Bewerberinnen und Bewerber - wurde in einem Hörsaal der Freien Universität verhandelt. In diesem ist Platz für insgesamt 570 Menschen. Laut Gericht hatten vorab bereits 200 Beteiligte ihr Kommen angekündigt, es handelt sich deshalb um die bislang größte Gerichtsverhandlung dieser Art in der Hauptstadt.
Eine Entscheidung könnte am Mittwoch fallen, allerdings ist dies unwahrscheinlich. Denn dafür haben die Richterinnen und Richter laut Gesetz drei Monate Zeit. Je nach Entscheidung kann es dann zu einer Wiederholung der Wahl kommen - in Gänze oder in einzelnen Wahlkreisen.
Bei der Wahl im vergangenen September hatte es in der Hauptstadt zahlreiche Pannen gegeben - etwa fehlende Stimmzettel, lange Warteschlangen oder zwischenzeitlich geschlossene Wahllokale. Auch gegen das Ergebnis der Bundestagswahl gab es zahlreiche Einsprüche. Für deren Prüfung ist jedoch der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags zuständig. Dieser erarbeitet eine Beschlussempfehlung, über die das Parlament im Oktober entscheiden soll.
C.Meier--BTB